Sonntag, 13. März 2011

Über Retrowellen und Kohorten

Retro kommt nie zu spätro! (sagt Fil) Wahrscheinlich entstehen musikalische Retrowellen so: Musiker sind meist noch etwas älter und also länger dabei als ihre Fans. Innovative Musiker brauchen nämlich nicht lange um ihre Leidenschaft zu finden, aber sie brauchen einige Jahre, um an die Geldtöpfe der Labels und an die Meinungsmacht in Magazinen etc. zu kommen, wenn zB ihre Freunde und Altersgenossen dort die Redaktionen erobert haben. Folglich entsteht ein Wellenszenario - Während zB DIY-Synthiesound in den 80ern vorherrschend ist, wächst eine ganze Generation Jugendlicher mit diesem Sound auf. Wenn die Welle vorbei ist, kommt die nächste Kohorte von Musikern an die Reihe, auf die Synthies folgt zB Grunge in den frühen 90ern. Nicht wirklich etwas für die Synthie-Kids, aber deren Zeit als Musiker kommt eben erst nach dieser Folgewelle. Nämlich in den späten 90ern. Jetzt sitzen die Freunde der Synthiejünger in den Musik-Redaktionen, haben das Geld um Platten zu kaufen oder auch zu produzieren, bestimmen in der Stadtverwaltung, welche Festivals gefördert werden etc. Ergo: Elektroclash und Synthie-house. "Selbstneuerfinder" a la Madonna eifern das eilig nach und malen sich schwarz an, U2 bringen ihr "Pop"-Album raus. Radiohead machen Kid A und Amnesiac. Nun sind es wiederum die unter Grunge aufgewachsenen Nächstjüngeren, die sich so lange die Ohren zuhalten müssen, bis endlich die nächste Indierockwelle kommt, besiegelt dadurch das Radiohead und U2 und Madonna wieder zu den Gitarren greifen. Solche Wellen vollziehen sich allerdings an verschiedensten Dualitäten: Nicht nur Gitarre/Elektro, sondern auch 4-to-the-Floor/Breakbeat, low-fi/high-fi, folky/pathetisch oder laut/leise (Quiet is the new loud von den Kings of Convinience hatte ja echt was, aber warum wird James Blake tatsächlich für die "Idee" gefeiert, Dubstep in ruhig zu prduzieren...)
Nun ihr seht schon, viele musikalischen Retro-Wellen nerven mich eher. Oft wird zB Kraftwerk allzu platt nachgeahmt. Immerhin dienen diese Retrowellen dazu, im nachhinein die wirklich bedeutenden Bands der jeweils vorletzten Epoche zu adeln. Es sind diejenigen, die am häufigsten kopiert und gecovert werden. Diese Bands/Musiker meinen, wenn es schlecht läuft (bzw. bei Ihnen in der Zwischenzeit privat schlecht gelaufen ist), es sei doch mal Zeit für eine Reunion. Dafür werden sie von Ihren Jugend-Fans in den Musikredaktionen mit ganzseitigen Artikeln belohnt, welche Besprechungen der neueren Platten verdrängen. Über die ständigen "ironischen" Retroprojekte möchte ich hier ausdrücklich herziehen. Die 90er sind zum Glück vorbei, lassen wir sie in Frieden ruhen!
Andererseits wird schließlich heutzutage eigentlich jede neue Welle an irgendetwas vergangenes erinnern, zumindest leicht. Manche dieser Projekte sind trotzdem viel mehr als nur Epigonen. Sie sind eigenständig oder sogar besser als ihre Vorgänger, das passiert meist, wenn der ach so lustige Witz, wieder die Klamotten von vor 10 Jahren anzuziehen, endlich gegessen ist. Ironiefreie Rückbesinnung:
- Das neue Sic Alps Album klingt nun noch mehr nach Velvet Undergound und ist sehr zu empfehlen!
- Die aktuell abgefeierten Actress und Hype Williams lassen einen zwar gefühlt in der Zeit reisen - Hype Williams' "Blue Dream" klingt für mich o-r-i-g-i-n-a-l wie aus einem 80er Kampfsport-B-Movie - Aber sie sind dabei straight, ernst und voll der Freiheit die ihre Vorbilder von damals meinten.
- Jeans Team und Peaches (Verehrer von Kraftwerk, 80er Gesang und Neonlicht) waren 10mal besser als der meiste Rest des sogenannten Electroclash 80er Revivals zusammen genommen.
Naja, jeder hat wahrscheinlich unzählige solcher Beispiele parat. Letztlich ist doch auch die Frage, warum eine Kopie nicht auch mal besser als ihr original sein sollte. Neuer Deep-House ist viel viel deeper als zu Pionierzeiten.Was macht eigentlich Madonna gerade?

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