Montag, 24. Januar 2011

Über Musik zu schreiben #2 - Come Inna Me Ramping Shop


Im Sammelband "Thema Nr. 1 Sex und populäre Musik" schreibt Martin Pfleiderer über die Slackness (Schlampenhaftigkeit) im jamaikanischen Dancehall und über den Schwulen- und Lesbenhass in dieser Musik, die in Jamaika so etwas wie das Gegenstück zum Roots Reggae war. Beispielhaft besprochen wird der Song "Ramping Shop", der 2009 großen Erfolg hatte, daraufhin im jamaikanischen Radio aber nach heisser Diskussion verboten wurde.
Ramping Shop Live with fucking choreo of the two Deejays (i.e. Jamaican Rapper):

Hier der Song in besserer Soundqualität plus Übersetzung der Texte von Patois ins Englische - dazu eine beeindruckende Sex-Choreo.  (einer von 20 Trailern für den Dokumentarfilm "Hit Me With Music")

Yellowman gilt als erster Slackness-Star, als Albino gilt er aber in Jamaika als ...
mitleiderregende Erscheinung, seine Sex und Potenz-Texte sind also humoristisch einzuschätzen

Yellowman mit "Dem are mad over me", auch gut - Yellowman über Soldaten. Ebenso humoristisch gibt sich "Diseases" von Michigan and Smiley (kurze Version).
Mit der jamaikanischen Cultural Studies -Wissenschaftlerin Carolyn Cooper argumentiert Pfleiderer, dass Slackness auch als subversive Befreiung der Frau vom protestantisch-viktorianischer Prüderie verstanden werden kann (siehe Dancehall Queens der 90er) also letztlich stark politisch ist (siehe Lady Saw). Aggressivität und Potenzbekundungen sind dieser Analyse nach ebenso rituelle Ersatzhandlungen wie die Sound System Clashes in den Dancehalls. In Battles zwischen den Musikern um die Gunst des Publikums werden "Killer Tunes" eingesetzt (der hier ja inzwischen geläufige Begriff kommt anscheinend tatsächlich dorther) um das gegnerische Sound System symbolisch zu killen. Manchmal wird es zwischen den Anhängern der Sound Systems auch echt handgreiflich, der sogenannte "war".
Kontext dieser Rituale sind das Dritte Welt -Land Jamaika und die jahrzehntelange, oftmals blutige Fehde zwischen den Jamaikanischen Parteien PNP und JLP bzw. ihren Anhängern. Doch wie verhält es sich mit der Slackness im behüteten Deutschland? Was deutsche Bands und Sound Systems von Pow Pow Movement bis Seeed angeht, sind die Texte meist harmlos, Slackness taucht nur in der ursprünglichen humorbehafteten Variante auf. Der Sexismus-Verdacht kommt so gar nicht erst auf. Anders ist es mit den Tunes aus Jamaika, die hier gespielt werden. Vor allem der Schwulenhass löst hierzulande Diskussionen aus. Manche Jamaikanische Künstler (z.B. Sizzla 2009 in Berlin) wurden hier boykottiert, es wurde gegen sie protestiert, ihre Konzerte abgesagt.
Die unterschiedlichen Positionen zu der Problematik erläutert Pfleiderer anhand von Artikeln in der deutschen Reggaezeitschrift "Riddim". Das jamaikanische Patois wird zwar nicht von allen verstanden (und wohl von den wenigsten komplett), doch einige homophobe Inhalte kommen bei den deutschen Fans durchaus rüber. Verfangen - so Pfleiderer - tun sie jedoch nicht. Die Geister scheiden sich nicht ob der Frage "Homosexualität - ja oder nein". Diskutiert wird vielmehr, ob sich die Deutschen den Jamaikanern gegenüber klar positionieren müssen/sollten oder nicht. Die Frage ist durchaus relevant auch für die Jamaikanischen Künstler, die in Deutschland einen großen Absatzmarkt für Platten bzw Konzert-Tourneen haben. Um der Rolle des kolonialistischen Besserwisserlandes zu entgehen ist zum Beispiel im Gespräch, die Jamaikanischen Deejays zum Verzicht auf homophobe Texte in Deutschland zu bewegen, ihnen aber nicht reinzureden was andere Länder und speziell Jamaika selbst angeht. Laut Cooper geht der Schwulenhass in Jamaika ohnehin allmählich zurück.
Fest steht, dass zwischen Deutschland und Jamaika ein himmelweiter Unterschied besteht, trotz Leuten wie Gentleman trifft das auch auf die Dancehallszene zu. "Bestimmte Dinge kann man sich gar nicht aneignen, die treffen per se nicht auf uns zu. So seh man auch den Bad Man raushängen lässt, am Ende ist man ein wohlsituierter Mittelstandsjunge, der ein kleines Abenteuer erleben will." (Pete Lilly)
In dieser Sammlung ist der Aufsatz erschienen.

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